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Mit Gefühl fürs Detail

Winter Academy of Music: Hospitation bei den Proben für Rachmaninows Klavierkonzert

Was denken wir Zuhörer eigentlich, sitzen wir im Konzert mit einem Solisten? Mit einem Pianisten zum Beispiel. Wir lehnen uns zurück und genießen. Bewundern vielleicht, dass der oder die am Flügel seinen Part im Kopf hat und wie er ihn zu gestalten versteht. Oder wie der Dirigent alles zusammenhält. Welch lange Erarbeitungsphase dem Auftritt voraus ging, welch Akribie des Notenstudiums nötig war, welch Dialog zwischen allen Beteiligten am Ende zu einem Auftritt führte, der uns am Schluss applaudieren, vielleicht „Bravo“ rufen lässt – davon wissen wir nichts. Merken wir auch nichts, denn sobald es nach Arbeit aussieht, stolpern auch wir als Konzertbesucher. Es soll eine Einheit sein, das Konzert. Aus einem Guss. Voller Leichtigkeit nach Möglichkeit, auch wenn Dramatik vorkommt. Und da ist hier noch nichts gesagt von der Hörgewohnheit des verehrten Publikums, die möglichst bedient werden möchte. Obgleich ein kluges Publikum immer offen auch für Neues, gegen den Strich Gebürstetes ist.

In Lüneburg proben derzeit Teilnehmer der Winter Academy of Music drei Klavierwerke. Das Klavierkonzert Nr. 1 e-moll op. 11 von Frédéric Chopin, das Klavierkonzert a-moll op. 16 von Edvard Grieg und das Klavierkonzert Nr. 2 c-moll op. 18 von Sergej Rachmaninow. Ganz viel Romantik also, was Opulenz, Klangballung, Schwelgen heißt. Den Pianisten zur Seite stehen Dirigentinnen und Dirigenten des Forums Dirigieren des Deutschen Musikrats und die Lüneburger Symphoniker. Die Profis des Orchesters sollen sich also dieses Mal von Studierenden leiten lassen – als Solist und als der Mann oder die Frau am Taktstock. Das klingt nach Abenteuer. Auf jeden Fall aber ist es eine große Chance des Arbeitens für die jungen Leute.

Bei einer ersten Probe, in der das Orchester vorerst von einem zweiten Mann am Flügel imaginiert wird, unterstützt Generalmusikdirektor (GMD) Thomas Dorsch die Studenten. Dorsch ist ein wunderbarer Moderator. Freundlich, aber konsequent. Er fordert Erklärungen ein, warum das jetzt so und nicht anders klingen soll und was sich Pianist oder Dirigent dabei gedacht haben, und er setzt auf Dialog. Er gibt Hinweise und dass die wenigstens einmal ausprobiert werden. Es sind aufregende Stunden, hier zuhören zu dürfen.

Jungeun Oh aus Südkorea und Ofer Gadi Stolarov aus Israel sitzen nacheinander am Flügel. Auf dem Pult der erste Satz des Rachmaninowkonzerts. Als Dirigentin fungiert Sukjong Kim (Südkorea). Thomas Dorsch gibt der Dirigentin den Satz mit: „Sobald das Orchester da sitzt, muss es wissen, was der am Pult will. Sonst kommt es ganz schnell dazu, dass die sagen: Okay, der weiß auch nicht, wohin.“ Es geht also um Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen – das aber nur aus souveränem Wissen über die Musik und deren Umsetzung erwachsen kann.

Zu Missverständnissen zwischen dem Dirigenten und dem Solisten darf es auch nicht kommen. „Sprechen Sie  mit ihr“, fordert Dorsch, „Sie kommunizieren ja später nur noch nonverbal, einigen über die Musik müssen Sie sich vorher.“ Es gäbe ganz viele Konzertpianisten, die genau wüssten, was sie wollen, es aber nicht vermitteln könnten. „Wichtig ist, dass Sie sagen, was Sie gehört haben im Spiel. Ist es das, was Sie auch wollen?“

Es ist wie ein Hörspiel, eine Interaktion zwischen Menschen, die sich später ohne Worte verstehen müssen und – das ist noch wichtiger – den Zuhörern ohne Worte etwas mitteilen möchten. Im Idealfall. In der Erarbeitung geht es aber zunächst ums Erfassen der Dimension der Musik, um das Erkennen einer Richtung in der Interpretation und dann darum, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Dass wir als Konzertbesucher am Ende sagen: Wow! Da waren großes handwerkliches Können, eine mentale Aufbereitung der Noten, ganz viel Gefühl und eine beglückende Gemeinsamkeit am Werk. An all dem wird zurzeit in Lüneburg gearbeitet, Studenten und Profis auf Augenhöhe.

Aufgeführt werden alle drei oben genannten Konzerte am Samstag, 17. Dezember 2022, um 20 Uhr, im Kulturgut Wienebüttel (Lüneburg). Karten gibt es an der Theaterkasse Lüneburg (04131/42100).

Barbara Kaiser – 14. Dezember 2022